Der Sealand Brief
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Der Sealand Brief vom Dezember 2002 # 2

Pearl Harbor

Pearl Harbor - oder: der Film ist der Krieg

Zu Pearl Harbor schrieb Willi Winkler am 21. Mai 2001 in der Süddeutschen Zeitung anläßlich des zutiefst schamlosen Hollywoodfilms, der das offizielle Geschichtsbild rechtzeitig von allem historischen Ballast befreite und die mediale Welt in den erwünschten Alzheimer-Zustand der Erinnerungslosigkeit versetzte:

«Natürlich darf man von einem Jerry-Bruckheimer-Film keine Differenzierung erwarten, schon gar nicht die historische Wahrheit. Zum Beispiel dass im Jahr 1940 genau 2,5 Prozent der Amerikaner in einen Krieg gegen jenes ferne Deutschland eintreten wollten, das Europa überrannt und besetzt hatte, in einem Luftkrieg mit England lag, demnächst Russland angreifen würde und in allen eroberten Ländern die Juden umbrachte. Die Amerikaner wollten zu Hause bleiben und die Europäer ihrem Schicksal überlassen. Allerdings waren 37,5 Prozent dafür – die New York Times nennt diese Zahlen –, dass die USA sicherheitshalber Waffen an beide Seiten verkaufen sollten, an Engländer und Deutsche.

Erst Pearl Harbor brachte den Umschwung in der öffentlichen Meinung, die nationale Demütigung an jenem ‹infamen› Morgen, als die Japaner ohne Vorwarnung ahnungslose amerikanische Soldaten überfallen hätten. Historiker wie R.B.Stinnet (in ‹Day of Deceit›) und Romanciers wie Gore Vidal (in ‹The Golden Age›), die Einsicht in neuerdings freigegebene Akten nahmen, weisen allerdings darauf hin, dass Präsident Franklin Roosevelt die Japaner bis zu diesem Überfall provoziert haben könnte. Anders als mit dem Pearl Harbor folgenden patriotischen Sentiment wäre Amerika nie zum Kriegseintritt zu bewegen gewesen.»

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Ein halbes Jahr später wiederholte Winkler in der Süddeutschen Zeitung vom 7.12.2001 die allgemein bekannten Tatsachen:

Tag der Schande
Sechzig Jahre nach Pearl Harbor: Wie der japanische Angriff auf Hawaii dem amerikanischen Präsidenten half, Amerika für den Krieg zu begeistern

Für Mitte Dezember 1941 hatte ein Nachrichtenmagazin Walt Disneys neuesten Film „Dumbo“ für den Titel vorgesehen. Die Welt, oder jedenfalls die amerikanische, war bereit, sich durch den Elefanten mit den Segelohren zu Tränen rühren zu lassen. Sogar richtige Männer mussten dabei weinen, wie zum Beispiel General Stilwell in Steven Spielbergs unterschätztem Meisterwerk „1941“. Zwar drohen da japanische U-Boote Kalifornien oder vielmehr den Großraum Los Angeles und vor allem Hollywood anzugreifen, aber Zeit für Dumbo muss sein. Er brachte es dann doch nicht auf den Titel, der süße kleine Elefant, denn inzwischen hatten die Japaner den Hawaii-Hafen Pearl Harbor angegriffen, die amerikanische Pazifikflotte zu großen Teilen zerstört und den Eintritt der USA in den Weltkrieg ausgelöst.

Spielbergs Komödie – seine einzige! –, schildert das Amerika in jenem Dezember 1941 als Irrenhaus. Die Japaner sind überall, die Nazis lauern um die Ecke, und auch die Heimatfront wankt. Wie auch nicht: Der Krieg sucht zum ersten Mal seit dem Ende des Bürgerkriegs 1865 das eigene Land heim. Nur der Feind will sich, bösartig und schlitzäugig, wie er ist, einfach nicht zeigen. Bisher hatte sich der Weltkrieg auf Europa beschränkt, hatte Hitlers Wehrmacht das Großdeutsche Reich bis an die Stadtgrenze von Moskau und an den Atlantik ausdehnen können, aber Präsident Roosevelt beschränkte sich darauf, seinen Botschafter aus Berlin zurückzurufen.

Im November 1940 ließ er sich zum dritten Mal zum Präsidenten wählen, aber gewinnen konnte er nur, weil er seinen Wählern etwas versprach, was er nicht halten wollte: „Eure Söhne werden nicht in irgendwelche ausländischen Kriege geschickt.“ Roosevelt siegte gegen einen isolationistischen Kandidaten und bereitete den Kriegseintritt vor. Seit dem Überfall auf Pearl Harbor geistern Verschwörungstheorien über Roosevelts Rolle beim Kriegseintritt durch die Welt, aber manchmal weiß es der Paranoiker doch am besten. Pearl Harbor ist eine meisterhafte Inszenierung gewesen.

„Die Zeiten haben uns auf eine harte Probe gestellt“, sagt eine weibliche Stimme aus dem Off in dem schamlosen Propagandafilm „Pearl Harbor“, der in diesem Jahr das Geschichtsbild für die Zukunft festgelegt hat, „aber wir sind daran gewachsen.“

Am frühen Morgen des 7. Dezember 1941 griffen japanische Flugzeuge die US-Kriegsschiffe auf Hawaii an. Die USA erlitten einen Schock, wohl den schlimmsten vor dem 11. September dieses Jahres. Es war, wie Roosevelt am nächsten Tag in einer Rundfunkansprache verkündete, „eine nicht provozierte Tat“, eine „Kriegshandlung“, und das unfassbare Ereignis würde auf immerdar als „Tag der Schande“ erinnert werden. Aber Roosevelt wusste nicht bloß von dem kommenden Angriff, es gab, wie Robert B. Stinnett in seinem Buch „Day of Deceit“ (2000) nachweist, im Weißen Haus sogar einen „systematischen Plan, der sein Ziel in diesem Überfall hatte“.

Stinnett ist zwar bloß Reporter und kein Historiker, aber der Kolportage unverdächtig. Er war im Zweiten Weltkrieg als Soldat im Pazifik und diente unter einem Leutnant George Bush. In seinem Buch, das von der Öffnung der Archive profitiert hat, beschreibt er, wie Roosevelt eine zutiefst pazifistische Nation wie die amerikanische in den Zweiten Weltkrieg führte. Im Jahr 1941 unterstützten die USA England über die Cash-and-Carry-Vereinbarung. Roosevelt sorgte auch dafür, dass Schiffe nach England geliefert wurden. Im Juni begann der deutsche Überfall auf die Sowjetunion, und noch immer war England durch den Luftkampf bedroht. In Ostasien hatte Japan die Mandschurei überfallen und unvorstellbare Gräuel angerichtet. Seit dem 27. September 1940 bestand zwischen Deutschland, Italien und Japan der „Dreimächtepakt“. Während die USA an der Monroe-Doktrin festhielten und sich jede Einflussnahme in Nord- wie Südamerika verbaten, teilten sich die drei Aufsteigerstaaten die Welt östlich und westlich davon in ihre privaten Großräume auf. Japan verhandelte, offen und geheim, mit den USA über einen Modus vivendi, beanspruchte aber Indochina und wollte das Kaiserreich bis nach Australien ausdehnen. Die USA, immer noch zur Zurückhaltung verpflichtet, antworteten mit einem Öl-Embargo. In Japan wurde deshalb der Krieg gegen die USA beschlossen. Noch immer verhandelte man über Kleinigkeiten, ärgerte sich mit Klauseln herum, ließ Ultimaten verstreichen. Längst bereitete auch die amerikanische Seite den Kriegseintritt vor.

Nur galt da auch das Versprechen, dass keine Amerikaner für unamerikanische Belange kämpfen würden. Roosevelt konnte seine Regierung davon überzeugen, dass Deutschlands Großmachtstreben eingedämmt werden musste, noch aber musste die überfallene Sowjetunion indirekt unterstützt werden. Als Hebel gegen die Isolationisten wie gegen die eigenen Wahlversprechen blieb nur ein Angriff auf das eigene Land. Franklin Roosevelt wusste, was er damit anrichtete. Arthur McCollum, Chef der Navy-Aufklärung und Ostasienexperte, hatte dem Präsidenten schon im Oktober 1940 eine Liste mit acht Maßnahmen vorgelegt, die Japan zur Aggression nötigen könnten. Eine davon bestand in der Empfehlung, „den Großteil der US-Flotte in die Nähe Hawaiis zu verlegen“. Roosevelt tat es. Die amerikanische Luftaufklärung beobachtete größere Schiffsbewegungen im Pazifik, fing Funksprüche ab, erhielt Warnungen verschiedener Geheimdienste. Spätestens im November 1941 war es gelungen, den japanischen Verschlüsselungscode zu enträtseln.

Nun drängte der Krieg in die Heimat. 1940 wollten nur 2,5 Prozent der Amerikaner am europäischen Krieg teilnehmen, nach dem japanischen Überfall war alles anders. Roosevelt bekam Kriegskredite bewilligt, die Freiwilligen standen in langen Reihen vor den Rekrutierungsbüros, die Zeit war reif für neue Helden. Filme wie „Sergeant York“ und später „Casablanca“ (der in jenem infamen Dezember 1941 spielt) halfen mit, ein selbstgenügsames und manchmal sogar kriegsdienstverweigerndes Volk in kürzester Zeit zu Soldaten umzuerziehen. Humphrey Bogart in „Casablanca“ denkt zu Anfang gar nicht daran, „meinen Kopf für irgendjemanden hinzuhalten“. Am Ende wird er sich zusammen mit dem bis dahin kollaborierenden Polizeichef der Anti-Nazi-Liga anschließen.

Der Historiker Bernd Greiner vertritt die These, dass sich Amerika von Pearl Harbor nie wieder erholt habe. Die in wenigen Monaten exponentiell wachsende Rüstungsindustrie beseitigte endlich die Arbeitslosigkeit der zehn Jahre nachwirkenden Wirtschaftskrise. Es waren die lokalen Machthaber, Journalisten, Fabrikanten und Bürgervertreter, die sich um die Prosperität nach dem Krieg sorgten und die „Umwandlung einer Zivil- in eine Kriegsgesellschaft“ für die nächsten Jahrzehnte festlegten.

Roosevelts nicht ganz sanftes Führen hat die USA, die sich 1918 aus Europa und allem Weltmachtstreben zurückgezogen hatten, wieder ins Spiel gebracht. Asien wurde vom imperialistischen Japan befreit, Europa von Adolf Hitler und den Seinen. Der Propagandaeffekt von Pearl Harbor gab ihm die Möglichkeit. Dafür mussten fast dreitausend Menschen sterben. Der Reporter in John Fords „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, spricht die reine historische Wahrheit. „Hier ist der Westen. Wenn die Fakten zur Legende werden, drucken wir die Legende.“ Pearl Harbor hat es nie gegeben.

[WILLI WINKLER - Süddeutsche Zeitung vom 7.12.2001]

«Militärbeamte hielten der Öffentlichkeit ständig das Bild von Hitler und von Pearl Harbor vor Augen. Die einzige Sicherheit in einer gefährlichen und irrationalen Welt war die, diese Welt zu beherrschen.
Aus: richard j. barnet, the economy of death, 1969 »

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